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Kulturelle Aneigung im Yoga

Aktualisiert: 12. Feb.

Ein kurzer Disclaimer zu Beginn dieses Beitrages:

Es wird vielleicht beim Lesen dazu kommen, dass ihr unterschiedliche Regungen und Gefühle spürt, die ausgelöst werden. Nehmt es euch bitte zu Herzen und denkt darüber nach, warum das gerade mit euch etwas passiert. Fassen euch diese Worte an? Oder merkt: Hey ja, cool ist das nicht. Allerdings fühle ich mich davon nicht betroffen? Oder fühlt ihr euch vielleicht auch nicht verstanden in eurem Da-Sein als Yogalehrer:in, wenn ihr diesen Beitrag lest?

Hier eine beispielhafte Zusammenfassung, was unter dem Begriff der kulturellen Aneignung eigentlich verstanden wird:


(Weiße) Menschen aus dominanten Gesellschaftsgruppen „bedienen“ oder nehmen sich Teile aus Musik, Mode oder anderen kulturellen Dingen, weil sie es als cool empfinden, aber auch um Geld damit zu verdienen. Dies meint z.B. Frisuren (Dreadlocks, Conrows, etc.), aber auch traditionellen Schmuck oder Kleidungsstücke (Kopfschmuck indigener Völker, Kimonos japanischer Geishas) oder Bewegungsformen (Yoga, Tai Chi, etc.).


Kulturelle Aneignung bedeutet, sich an historisch und emotional bedeutsamen Elementen von – im westlichen Kontext – unterdrückten Kulturen zu bedienen, ohne deren Einverständnis und Wissen über deren Bedeutung zu verfügen. Im Zusammenhang mit Machtstrukturen, die weißen Menschen Vorteile gegenüber schwarzen, indigenen und nicht-weißen Menschen verschaffen. Diese Form der Übernahme gilt als kulturelle Aneignung und ist durch die dominante Gruppe besonders problematisch, weil dadurch ausbeuterische Verhältnisse auf kultureller Ebene fortgesetzt werden.


Aber ich lerne doch etwas zur Philosophie und Kultur im Yoga? Ist, dass dann trotzdem kulturelle Aneignung?


Puh, schwierige Frage. Ich kann sie gut nachvollziehen, denn ich bin eine weiße, westeuropäische Frau, die ebenfalls in diesem Dilemma steckt und sich damit schwertut.

Die Praxis des Yoga ist eine uralte indische, auch südasiatische Form von Bewegung, Bewusstsein und Philosophie, sowie spiritueller Natur. Es ist mehr, als nur eine reine Körperübungspraxis und Asanas auf der eigenen Matte zu praktizieren. Der Ursprung des Yoga kann auf eine holistische und spirituelle Natur zurückgeführt werden. Somit ist es also auch ein „Lifestyle“ außerhalb deiner Yogamatte. Vor etwa dreißig Jahren wurde Yoga deutlich kommerzialisiert und als Fitnesstrend heruntergebrochen, dargestellt. Es ist schön und wünschenswert, sich Wissen anzueignen und dies in der ganzen Welt zu verbreiten, dennoch sollte der Fokus auch darauf liegen, zu wissen, woher dies kommt und mit welchen Hindernissen Menschen aus der bestehenden Kultur zu kämpfen hatten/haben.

Was kann ich denn tun, um herauszufinden, ob ich kulturell aneignend bin?


Ganz platt lässt sich sagen, dass jede Person, die weiß, westeuropäisch, gebürtig nicht einer indischen/südasiatischen Kultur angehört und eine Ausbildung zum:zum Yogalehrer:in absolviert, kulturell aneignend ist. Ganz gleich, ob du das willst oder nicht. Das entspringt leider aus der Kombination deiner Handlung und deinen Privilegien als weiße Person. Denn es ist nicht deine ursprüngliche Kultur. Und vielleicht ist es dir das ein oder andere Mal schon passiert, dass du dafür viel Lob, Anerkennung und Aufmerksamkeit bekommen hast, weil du nun Yogalehrer:in (in Ausbildung) bist?


Das ist eine Form von kultureller Aneignung. Du wirst – ich übertreibe mal – für etwas gefeiert, aufgrund dessen andere Menschen in der Vergangenheit bei oder nach der Ausübung unterdrückt, gejagt und schlecht behandelt wurden. Spürst du einen Unterschied zwischen diesen beiden Perspektiven?


Letztendlich stellt sich dir wahrscheinlich auch die Frage:


Was kannst ich persönlich in meiner Yogapraxis tun, um weniger kulturell aneignend zu sein?

  • Siehe das Mensch-sein als einen politischen Prozess an. Menschen, die nicht weiß sind, haben täglich mit Diskriminierung, Rassismen und anderen ablehnenden Strukturen zu kämpfen.

  • Nimm und besuche Yogaklassen von indischen und südasiatischen Lehrer:innen, um diese zu supporten und ihnen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Es gibt die Möglichkeit nicht? Hm, vielleicht, wenn du im Urlaub (auf Bali, in Indonesien, etc.) bist oder ein Yoga-Festival besuchst. Halt gerne Augen und Ohren auf, dann ergeben sich bestimmt Möglichkeiten!

  • Setze dich auseinander und informiere dich über die Geschichte von Yoga, der damit zusammenhängenden kulturellen Aneignung und Unterdrückung.

  • Sprich mit deinem örtlichen Yogastudio, in dem Studio, dass dich bezahlt oder mit den Menschen (auch dir alleine) in deinem Studio über die mögliche Einstellung oder regelmäßige Einladung einer:eines indischen Lehrers:in.

  • Schau, welche Symbole (Statuen von Gottheiten oder ähnliches) dir auffallen. Empfindest du es als unangemessen, dass diese im Studio stehen, obwohl sie nur dazu genutzt werden, um Deko zu sein oder das Flair des Studios zu unterstrichen, gleichzeitig wird auf die Bedeutung aber gar nicht eingegangen?

  • Passe deinen Yoga Stil oder auch deine eigenen Stunden, die du unterrichtest bei Bedarf an, um respektvoll zu sein. Hier kannst du zum Beispiel auf das Namasté am Ende der Stunde verzichten oder wenn du ein Mantra chantest (Singen), kurz etwas dazu sagen, warum und aus welchem Grund es dir wichtig ist, dies zu tun. Vielleicht, weil es in der Yogakultur eine wichtige Bedeutung hat und es toll wäre, wenn deine Schüler:innen darüber Bescheid wüssten?

  • Schaffe einen Safe Space für Menschen, die nicht-weiß sind und somit eher weniger deine Stunden besuchen würden. Denn wie heißt es so schön? Yoga ist für jeden da – Jede Person, ganz gleich, welche Körperform, Nationalität, Hautfarbe und Geschlecht.

  • Wirf mal einen Blick in die Kolonialgeschichte und achte mal darauf, wie Yoga dargestellt wird und damit umgegangen wurde. Fällt dir was auf? Hm, so ganz cool ist, dass nicht, was da so passiert ist. Das entstehende Bewusstsein über historische Geschehnisse kann dir helfen, achtsamer und behutsamer mit kulturell bedeutsamen Begriffen, Traditionen und Gegenständen umzugehen, sowie zu wertschätzen.

Bitte versteh mich nicht falsch: Es ist toll, wenn du eine Ausbildung zur:zum Yogalehrer:in machst. Dennoch solltest du darauf achten, nicht einfach nur Elemente aus dieser Kultur zu nehmen und zu nutzen, sondern dich damit auch auf einer politischen Ebene beschäftigen. Es geht auch hier nicht darum, perfekt zu sein oder dir den moralischen Zeigefinger vors Gesicht zu heben. Sondern vielmehr darum, ein Verständnis und Bewusstsein für dein Handeln und Tun entwickeln zu können. Weiße Menschen verletzen immer und eignen sich immer wieder Dinge an. Punkt. Aber das muss nicht so bleiben. Es ist wichtig, im Lernprozess zu sein und die Bereitschaft zu zeigen und sichtbar zu machen, etwas verändern zu wollen.

Nur, weil etwas für dich okay und sich gut anfühlt, heißt das noch nicht, dass es sich für alle anderen auch okay und richtig anfühlt. Biete den Raum an, Fehler offenzulegen, darüber zu sprechen und diese verzeihen zu können. Das betrifft nicht nur alle anderen um dich herum, sondern auch dich selbst. Und denk dran – eine Mischung von Kulturen ist wünschenswert, eine Aneignung von Dingen unterdrückter Kulturen nicht.


Quellen (auch zum Nachlesen):

Emilia Roig – Why we matter. Das Ende der Unterdrückung

Susanna Barkataki - Embrace Yoga`s Roots

Jessamyn Stanley -Yoke

Mathias Tietke - Yoga im Nationalsozialismus. Konzepte, Kontraste, Konsequenzen




 
 
 

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